Die „grüne Ameise in den Ritzen zwischen den Elefantenfüßen“ – Ernährung und Klimaschutz (Interview)
Klima und Ernährung, wie hängt das eigentlich zusammen? Mit dieser Frage möchten wir in das Jahr 2021 starten. Wir freuen uns dazu mit Julian Stock von Alnatura zu sprechen. Alnatura ist einer der Pioniere der Lebensmittelbranche und treibt das Thema Bio und Nachhaltigkeit seit über 35 Jahren sehr erfolgreich voran. Das Unternehmen verschreibt sich dem Grundsatz, Wirtschaft neu zu denken und baut auf Bio aus Überzeugung. Dabei setzt es sich mit diversen Initiativen, wie beispielsweise der Bruder-Küken-Initiative oder der Biobauern-Initiative, immer wieder neue Standards in diesem Bereich. Alnatura ist mehrfach ausgezeichnet, zählt zu den beliebtesten Marken Deutschlands und ist eine von über 4.500 Unterzeichner:innen von Entrepreneurs For Future.
Julian schön, dass wir sprechen. Du bist Projektmanager bei Alnatura. Wie kommst du zu Alnatura und was ist deine Rolle?
Vielen Dank. Ich freue mich heute hier zu sein und das Interview mit euch zu führen. Ich bin Julian Stock, 38 Jahre alt und seit 6,5 Jahren Mitglied der Alnatu
ra Arbeitsgemeinschaft. Ich bin dort bisher in verschiedenen Aufgabenfeldern tätig gewesen. Aktuell bin ich Projektmanager im Bereich Kommunikation. Außerdem bin ich Mitkoordinator der Verpackungsgruppe bei einer Alnatura, Mitglied der Gruppe für Innovationen und Food- und Ernährungstrends, halte Vorträge rund um Nachhaltigkeit und schreibe ab und zu Artikel für unser Magazin. Ich interessiere mich für Nachhaltigkeit in allen Dimensionen und setze mich für einen nachhaltigen Lebensstil ein. Ich habe meine Berufung zum Beruf gemacht und freue mich sehr, dies bei Alnatura in vielen Facetten umsetzen zu können.
Der Frage, der wir nachgehen möchten, ist: „Klima und Ernährung, wie hängt das eigentlich zusammen?“ Kannst du uns die Zusammenhänge erklären?
Es gibt hier einen starken Zusammenhang. Und es ist sinnvoll, an dieser Stelle zunächst den größeren Bogen zu spannen: Wir Menschen beeinflussen den ökologischen Fußabdruck durch verschiedene Bereiche: Das sind im Wesentlichen Energie, Mobilität, Konsum und eben auch Ernährung. Der ökologische Fußabdruck im Zusammenhang mit Landwirtschaft, Forstwirtschaft oder auch anderer Landnutzung, die mit Ernährung zusammenhängt, ist groß: 21% unserer Treibhausgasemissionen gehen direkt auf das Konto der Ernährung. Betrachtet man die gesamten vor- und nachgelagerten Prozesse, die im Zusammenhang mit der Lebensmittelwirtschaft stehen, sind es laut UN-Klimarat sogar bis zu 37%. Das heißt, Ernährung beeinflusst den menschlichen Beitrag zum Klima wie kein anderer Bereich.
Dementsprechend haben wir eine Einflussmöglichkeit, die wir mehrmals täglich dafür nutzen können, etwas zu verändern. Natürlich liegt überall Verantwortung für Veränderung: Bei der Politik, bei der Wirtschaft, aber eben auch bei uns – bei jeder und jedem einzelnen. Diese Verantwortung haben wir mehrmals täglich auf den Tellern.
Ich finde das immer wieder beflügelnd, denn das bringt uns raus aus der Passivität. Während wir auf der einen Seite Forderungen in Richtung Politik oder Wirtschaft stellen können, sind wir gleichzeitig selbst auch in der machtvollen Position der Gestaltung und üben aktiv Einfluss auf die Welt von morgen.
Das waren sehr spannende Zahlen, die du genannt hast. Viele waren zumindest mir nicht so bewusst. Wo liegt denn jetzt aus deiner Sicht der größte Hebel bei dem Thema?
Es gibt drei wesentliche Hebel, die in Sachen Ernährung zum Klimaschutz beitragen können: Zum einen die Ressourcenintensität der Lebensmittel. Zudem die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben. Und nicht zuletzt das Thema Lebensmittelverschwendung.
Beim Thema Ressourcenintensität muss gesagt werden, dass tierische Produkte in der Regel klar am schlechtesten abschneiden. Tierische Produkte sind meist sehr ressourcenintensiv: In Sachen Futterbedarf, Wasserbedarf und was die Emissionen von Treibhausgasen angeht. Über einen maßvollen Konsum von Fleisch und Milchprodukten können wir also einen sehr großen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Es betrifft aber auch pflanzliche Produkte, wie z.B. Kakao oder Kaffee, die ebenfalls ressourcenintensiv sind. Oft sind es Dinge, die uns gar nicht so direkt auffallen. Es geht hier nicht um „nie wieder“, sondern um eine Reduzierung auf das richtige Maß.
Bei der Art und Weise der Landwirtschaft ist es so, dass Biolandwirtschaft einen ganz großen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Bio fördert den Humusaufbau. Humus ist wiederum ein CO2-Killer. Wir haben in der ökologischen Landwirtschaft nachweislich eine bessere Bodenfruchtbarkeit, höhere Biodiversität, bessere Performance beim Wasserschutz und höhere Ressourceneffizienz im Pflanzenbau. Bei ganz vielen und wesentlichen Faktoren ist Bio also die deutlich bessere Option.
Der dritte Hebel ist Lebensmittelverschwendung. Wir werfen weltweit im Durchschnitt ein Drittel unserer erzeugten Nahrung weg, mehr als die Hälfte davon in den privaten Haushalten. Das ist ein enormer Faktor, bei dem wir, ganz ohne zu verzichten, einen sehr großen Beitrag leisten können. Nur, indem wir ein bisschen gezielter einkaufen, die richtigen Mengen kochen und unsere Teller leer essen. Und Geld sparen wir damit auch noch.
Zwei Faktoren, die dagegen weniger relevant sind als viele vermutlich denken, sind die Themen Regionalität und Verpackung.
Solange es keine Flugware ist, die es bei Alnatura gar nicht gibt, ist der ökologische Fußabdruck des Transportes im Verhältnis zum Lebensmittel selbst meist nicht so groß. Und das trifft auch auf das Thema Verpackung zu: Das Lebensmittel selbst hat in der Regel einen größeren Abdruck als die Verpackung. Viele Menschen meinen, mit Regionalität und unverpackter Ware kann man den größten Beitrag leisten, aber tatsächlich liegt der größere Beitrag bei einem maßvollen Konsum von tierischen Produkten, Fokus auf Bio-Lebensmittel und der Reduzierung von Lebensmittelverschwendung. Natürlich ist es trotzdem gut, regionale und verpackungsarme Lebensmittel zu wählen.
Plant-based, eine auf Pflanzen basierte Ernährung, ist ein großer Trend. Immer mehr konventionelle Wursthersteller schwenken auf vegetarisch und vegan um. Was steckt dahinter?
Die Erzeugung von tierischen Produkten ist, wie gesagt, sehr ressourcenintensiv. Dementsprechend ist eine pflanzenbasierte Ernährung auch ein guter Beitrag zum Klimaschutz und zu einer klimafreundlichen Ernährung. Daher ist es erstmal gut, wenn Unternehmen aus der konventionellen Fleischproduktion auf pflanzenbasiert umschwenken. Ich habe dazu eine vielleicht spitze Meinung: Meine These – und ich habe selbst ein paar Jahre vegan gelebt, mittlerweile überwiegend bio-vegan und sonst vegetarisch – ist, dass vegan eigentlich nur in Bio-Qualität vegan sein kann. Wenn man sich damit beschäftigt, wird klar, dass die Auswirkungen der konventionellen Landwirtschaft auf die Biodiversität, also auch auf Tiere, Insekten, das Bodenleben und die langfristige Bodenfruchtbarkeit, enorm sind. Die Art und Weise, wie unsere Böden in der konventionellen Landwirtschaft bearbeitet werden, mit Überdüngung, Pestizideinsatz und Monokulturen, widerspricht meiner Meinung nach ganz klar der grundsätzlichen veganen Idee.
Auf der einen Seite ist die Abkehr von tierischen Produkten hin zu pflanzlichen ein guter erster Schritt, was Ressourcenintensität angeht. Auf der anderen Seite ist es sinnvoll nochmals differenzierter hinzuschauen und sich zu überlegen, welche Zutaten zum Einsatz kommen und wie das ganze erzeugt wurde.
Ein gutes Beispiel ist Palmöl. Alle kennen wohl die Horror-Bilder von Orang-Utans auf Borneo. Palmöl wird heute oft pauschal abgelehnt. Und bei konventionellem Palmöl ist es tatsächlich so, dass dafür Regenwald gerodet wird. Nur: Bei fair gehandeltem Bio-Palmöl, wie wir oder Unternehmen wie Rapunzel es verwenden, ist das nicht der Fall: Es werden Weideflächen genutzt und ökologisch bewirtschaftet, Tiere behalten ihren Lebensraum. Daher sind die Auswirkungen von konventionell angebautem Palmöl auf das Wohl der Tiere in meinen Augen größer als die von beispielsweise einem Bio-Ei. Die Krux ist nebenbei: Der Ertrag der Ölpalme ist um ein Vielfaches höher als der von anderen Ölpflanzen. Mit zunehmender Flächenknappheit ist der Ertrag pro Quadratmeter wichtig und Palmöl, richtig gemacht, daher völlig in Ordnung. Eine pauschale Ablehnung ist kontraproduktiv.
Es gibt also riesige Unterschiede selbst bei demselben Rohstoff. Ob Obst und Gemüse, Fleisch oder Palmöl. Daher sage ich: Vegan kann nur in Bio-Qualität vegan sein. Es braucht, meines Erachtens, nach den rasanten Entwicklungen der letzten Jahre in diesem Segment eine neue Definition vom Begriff Vegan, denn die jetzige ist vor über 70 Jahren entstanden, als wir noch völlig andere Voraussetzungen hatten.
Welche Möglichkeiten hat Alnatura als Unternehmen sich bei den Themen zu engagieren?
Wir haben große Möglichkeiten und wir nutzen diese auch. Alnatura war Anfang der 80er Jahre nicht nur in Sachen Bio Pionier, sondern auch hinsichtlich Social Entrepreneurship: Das Modell von Alnatura baut auf einer Nachhaltigkeitsidee auf. Wir machen Bio nicht aus wirtschaftlichem Kalkül, wie du das auch eingangs gesagt hast, sondern aus tiefer Überzeugung. Die Entscheidung für Lebensmittel ist erst im Nachgang zu der grundsätzlichen Idee entstanden. Diese Idee ist, dass wir mit Alnatura zeigen, dass wirtschaften anders möglich ist und die Wirtschaft den Menschen dient, nicht umgekehrt. Damit sind wir in den 80ern an den Start gegangen und haben die Produkte als Vehikel genutzt, um unsere Haltung nach außen erlebbar zu machen. „Sinn vor Gewinn“ ist da das richtige Schlagwort. Es ist unsere Prämisse, dass wir erstmal schauen, was wir Sinnvolles machen können. Der wirtschaftliche Erfolg kommt danach, als Folge, nicht als Zweck unseres Handelns.
Es ist deutlich geworden, dass die Gesellschaft sich das wünscht. Sonst wäre der Erfolg von Alnatura und anderen nachhaltigen Unternehmen nicht erklärbar. Wir haben auf der einen Seite die Situation in der Welt, die es erfordert sinnvoll zu handeln und sozial und ökologisch nachhaltig unterwegs zu sein. Und wir haben die Menschen, die es sich wünschen, die so leben wollen. Von daher: Bei uns basieren alle Entscheidungen auf dem Nachhaltigkeitsgedanken und auf den verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit. Das geht weit über unsere Produkte hinaus.
Wir sind froh, dass Alnatura mittlerweile so eine Reichweite hat, so seine Beliebtheit und Bekanntheit, die wir nutzen können, um Informationen in die Gesellschaft zu tragen und um darüber aufzuklären, wie beispielsweise der Zusammenhang zwischen Ernährung und Klimaschutz ist. Oder wie man Sozialstandards einhält, wie man partnerschaftlich mit Unternehmen zusammenarbeitet, die in der Wertschöpfungskette vorgelagert sind. Wir begreifen Lieferanten nicht als Lieferanten, sondern als Partner und betrachten vom Acker bis zum Teller – Farm-to-Fork – die gesamte Wertschöpfungskette und prüfen, wie wir sie optimieren können. Wir sind stark gewachsen in den letzten Jahrzehnten und nehmen die damit einhergehende Verantwortung wahr.
Wir benutzen unsere Kraft, um ganzheitlich nachhaltig zu handeln und zeigen das an verschiedenen Stellen, ob bei unserem Hochregallager aus Holz oder bei unserem Campus, der maximal nachhaltig ist und dafür auch ausgezeichnet wurde. Wir haben schon Türen in den Kühltheken unserer Märkte angebracht, als alle noch gesagt haben, „wenn ihr das macht, dann greifen die Leute nicht mehr zu, weil eine imaginäre Barriere zwischen der Hand und dem Produkt entsteht.“ Wir haben es trotzdem gemacht, weil durch eine offene Kühlung viel Energie sinnlos verschwendet wird. Sinn vor Gewinn!
Und natürlich, das Ganze in Bioprodukten auszudrücken und unser Wirtschaften, wie wir es neu denken, erlebbar zu machen, ist für uns unglaublich wichtig. Daran halten wir weiterhin fest und freuen uns, wenn wir weiter an Kraft gewinnen. Eins muss man dazu aber noch sagen: Im Vergleich sind wir immer noch ein kleines Licht im Lebensmittelhandel. Es wirkt sehr groß, was wir machen und das ist auch gut so. Aber wir sind im Vergleich eigentlich nur eine kleine grüne Ameise in den Ritzen zwischen den Elefantenfüßen.
Julian, wieso habt ihr die politischen Forderungen der Entrepreneurs For Future unterzeichnet?
Im Zuge der gesamten For-Future-Bewegung hat die Idee, hinter der auch Alnatura steht, nämlich Klimaschutz zu betreiben und die Welt ein bisschen nachhaltiger zu machen, an Fahrt aufgenommen. Insbesondere bei der jungen Generation. Als es dann auch die Entrepreneurs For Future gab, die der Bewegung nahestehen, war es für uns selbstverständlich, dass wir uns hier engagieren. Es gibt die Grundidee, hinter der wir alle stehen, die uns alle vereint und es gibt den Willen, etwas zu verändern und ein Engagement zu betreiben, das nach außen sichtbar und wirksam wird. Das alles über die E4F zu bündeln ist uns ein wichtiges Anliegen. Für die Forderungen einzustehen und auch eine Stimme im Chor Richtung Politik mitzusingen. Politisches Engagement ist und bleibt wichtig. Ebenso wichtig, wie trotzdem selbst zu gestalten und nicht darauf zu warten, dass die Forderung umgesetzt werden.
Vielen Dank, Julian!
Auszüge der Interviewaufzeichnung können hier angesehen werden.