Alexander Bonde, Generalsekretär Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)

Herr Bonde, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert bereits seit den 90ern sehr erfolgreich innovative Verfahren und Techniken in den Bereichen Umwelttechnik, Umweltforschung, der Umweltkommunikation und im Naturschutz. Ihr Ziel ist es, die Lebensbedingungen für uns und zukünftige Generationen innerhalb der planetaren Grenzen zu erhalten. Zudem fördern Sie mit ihrem Green Startup Programm seit 2019 vor allem junge Unternehmen – also die Unternehmen vom morgen. Ihre Perspektive ist stets nach vorne gerichtet.

 

Wie geht es weiter mit den beiden großen Krisen – Corona- und Klimakrise?
Die Pandemie ist ernst und noch lange nicht vorbei. Wir müssen uns an Einiges gewöhnen, harte Hygieneregeln durchhalten und mehr Abstand zueinander halten als gewohnt. Die Bundesregierung und die Länder, Unternehmen und am Ende jeder von uns fahren auf Sicht: Die Infektionszahlen werden weiter intensiv beobachtet und entsprechende Maßnahmen zu gegebener Zeit diskutiert.
Die Auswirkungen auf das öffentliche Leben werden uns noch eine ganze Zeit begleiten. Unternehmen mussten und müssen umdenken, flexible neue Lösungen schaffen. Das ist für viele ein Umbruch, warum diesen nicht nutzen um durchzustarten? Die Klimakrise macht keine Pause, darum macht es Sinn beides anzugehen und eine „grüne“, digitale Wirtschaft anzukurbeln.
Die Klimakrise rückt in der öffentlichen Wahrnehmung erst langsam wieder aus dem Schatten der Coronakrise hervor. In ihren Auswirkungen nimmt sie aber weiter beständig zu – egal ob sie in den Nachrichten kommt oder nicht. Die meisten Menschen wissen das auch, wie der aktuelle DBU-Umweltmonitor „Corona-Folgen“ zeigt: Eine Mehrheit der Bürger (59 %) glaubt, dass die Klimakrise langfristig gesehen sogar größere Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben wird als die Coronakrise.

Auch wenn Deutschland wegen des aktuellen Shutdowns unerwartet das Klimaschutzziel für 2020 voraussichtlich erreichen wird: Der krisenbedingte Wirtschaftseinbruch ist kein nachhaltiger Klimaschutz, weder für den Planeten noch für die Menschen. Ein Wirtschaftseinbruch schafft keine nachhaltig klimafreundlichen Strukturen, sondern gefährdet tragfähige Lösungen und birgt Rebound-Gefahren, wenn nach Corona der rauchende Schlot zum Zeichen der Krisenbewältigung würde.

 

Wie sehen Sie Deutschlands Wirtschaft und Innovationskraft für die Zukunft aufgestellt?
Für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Lösung entscheidender Herausforderungen wie dem Klimawandel, dem Biodiversitätsverlust oder der Wasserknappheit brauchen wir neue Herangehensweisen und innovative Ideen. In Deutschland kommen Innovationen besonders häufig aus dem Mittelstand und auch aus Neugründungen und Startups. Die innovations- und nachhaltigkeitsorientierten kleinen und mittleren Unternehmen sind genau jene, die uns unsere Wirtschaftsgrundlagen von morgen sichern. Sie verbinden ökonomische Wachstumsperspektiven mit einer Wirtschaftsweise, die unsere natürlichen Ressourcen schont, die Umwelt weniger belastet, regionale Wertschöpfungsketten stärkt, Ressourcen im Kreislauf führt und unsere Wirtschaft insgesamt widerstandsfähiger macht – insbesondere nach der Coronakrise.

Klimarelevante Technologien mit Marktbedeutung stammen zudem mehrheitlich aus dem letzten Jahrtausend und werden daher von Menschen betrieben, die ihre Geschäftsmodelle in dieser Zeit und unter den damaligen Randbedingungen ersonnen haben. Die gegenwärtige „grüne“ Gründungswelle wird besonders häufig durch digital versierte Menschen vorangetrieben, die mit ihren digitalen Geschäftsmodellen ganze Branchen revolutionieren können, vor allem eben in klimaschutzrelevanten Technologiebereichen oder in der Energiewirtschaft.

Ehrlich gesagt kann ich den Spruch von „der Krise als Chance“ nicht mehr hören, denn die Krise nervt. Aber dennoch: Laut Transformationsforschung sind Krisen wirkungsvolle Gelegenheitsfenster. Nutzen wir das Fenster, um den innovativen Mittelstand und „grüne“ Gründungen zu stärken und so unsere zukünftigen Geschäftsmodelle und Lebensgrundlagen widerstandsfähiger und nachhaltig zu gestalten. Dann sind innovative Geschäftsmodelle auch krisenresiliente Geschäftsmodelle.

 

Welche Rolle können nachhaltige Geschäftsmodelle, wie die von Ihnen geförderten, bei der Bewältigung der Krisen spielen?
Im Übergang zur Green Economy spielen etwa „grüne“ Startups als Impulsgeber und Innovationstreiber eine wichtige Rolle. Sie wandeln ökologische Herausforderungen in Geschäftsmodelle um. Laut dem von der DBU geförderten Green Startup Monitor 2020 schauen grüne Startups besonders optimistisch in die Zukunft. Drei von vier „grünen“ Startups, und damit deutlich mehr als unter den nicht-„grünen“, bewerten ihre zukünftige Geschäftslage positiv. Diese jungen Unternehmen sind mit ihren innovativen Geschäftsmodellen, die wirtschaftlichen Erfolg mit ökologischer und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit verbinden, wichtige Treiber für den Neustart nach der Krise. Es ist daher wichtig, gerade diese Green Startups bei der Überwindung der Schwierigkeiten der Coronakrise zu helfen.

Digitale Geschäftsmodelle bieten gerade in der Coronakrise zentrale Lösungsansätze. Wenn sie dann auch noch nachhaltig ausgerichtet sind, leisten sie einen wichtigen Beitrag für Umwelt und Gesellschaft und so etwa auch für Lösungsbeiträge zur Klimakrise.

Zwei Beispiele aus der DBU-Förderung illustrieren den Zusammenhang: Die Firma Avalution aus Kaiserslautern will die Anzahl von Retouren bei der Online-Bestellung von Kleidung verringern, indem sie eine virtuelle Anprobe ermöglicht. Dafür sollen Kunden eine digitale Kopie ihres Körpers erhalten – ein dreidimensionales Spiegelbild. An dem sollen sie sehen, welche Kleidergröße und -form passt. Der Kunde muss so nicht mehr die gleichen Kleidungsstücke in verschiedenen Größen bestellen. Weniger Retouren bedeuten weniger Energie für den Transport und weniger Rohstoffverbrauch, denn zurückgeschickte Kleidung muss gereinigt und neu verpackt werden – wenn der Onlinehandel sie nicht, trotz bestem Zustand, direkt vernichtet.

Einen anderen Ansatz verfolgt das ebök Institut in Tübingen: Das Projektteam will klären, wie sich kleine und mittlere Unternehmen unterschiedlicher Branchen in ein virtuelles Kraftwerk einbinden lassen. Ein virtuelles Kraftwerk ist der Zusammenschluss dezentraler Stromerzeuger und -verbraucher, die durch koordinierte Aktionen die Aufgaben eines konventionellen Kraftwerks oder eines Pumpspeichers übernehmen können. Durch den flexiblen Betrieb ihrer Erzeuger und Verbraucher sollen die Unternehmen helfen, die von fluktuierenden, regenerativen Quellen verursachten Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Das Tübinger Institut erforscht in diesem Zusammenhang außerdem, wie der Stromhandel zwischen vielen kleinen, dezentralen Stromerzeugern und -verbrauchern mithilfe digitaler Technologien vereinfacht werden kann.

 

Am 24.04. fand wieder ein großer Klimastreik im Netz statt. Entrepreneurs For Future, die unternehmerische Stimme der For-Future Bewegung, hat an diesem Tag gemeinsam mit den F4F ein klares Signal für den Klimaschutz auch in Zeiten von Corona an die Politik gesendet. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt unterstützt die Initiative. Wo genau sehen sie die Aufgabe der Unternehmer*innen in der Debatte?
Mit unserer Unterstützung der „Entrepreneurs For Future“-Bewegung wollen wir unsere zentrale Zielgruppe, die mittelständischen Unternehmen, zum Handeln ermutigen. Schützenhilfe leisten sollen gleichzeitig auch die zahlreichen mit dem Deutschen Umweltpreis der DBU ausgezeichneten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zum großen Teil die Forderungen der „Scientists For Future“ unterstützen. Wir können mit Blick auf die Klimakrise durch unsere Projektarbeit Lösungsansätze in der Praxis aufzeigen und das mit einem breiten Experten- Netzwerk von renommierten Klimaexpertinnen und -experten wissenschaftlich unterlegen. Viele Stimmen aus der Zivilgesellschaft fordern mehr Klimaschutz – es ist Zeit zu handeln!

Wir wollen den Mittelstand etwa stärker in das Gelingen der Energiewende einbinden. Nicht nur, indem er selbst Lösungen liefert, sondern auch Lösungen nutzt. So fördern wir mit UnternehmensGrün zum Beispiel das Projekt Unternehmensstrom. Hier werden innovative Projekte zur Eigenstromversorgung unterstützt.

Die Unternehmen müssen der Politik klar machen, dass sie verlässliche Rahmenbedingungen und Leitplanken für klimafreundliches Wirtschaften brauchen, die für alle gelten und die langfristig Bestand haben.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf KMU einerseits und Start-Ups andererseits zukommen?
Beide sind natürlich aktuell vor allem von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen: Aktuelle Prognosen erwarten für die deutsche Wirtschaft ein Minus von sieben Prozent oder mehr in diesem Jahr, für mehr als zehn Millionen Menschen wurde bereits Kurzarbeit beantragt – beides sind historische Negativrekorde. Der Mittelstand erwartet Umsatzrückgänge, zum Teil sogar von mehr als 60 %. Startups, und dabei vor allem „grüne“ Startups, stehen weiterhin vor der Herausforderung der Kapitalbeschaffung. Das wird sich durch Corona nicht einfacher gestalten.

 

Welche nächsten Schritte sind aus Ihrer Sich von Seiten der Bundesregierung jetzt notwendig, um diese Herausforderungen zu meistern?
In dieser Ausnahmesituation sind Soforthilfen unabdingbar, um Betriebe und Belegschaften zu retten. Konjunkturhilfen können die Wirtschaft auf vielschichtige Art und Weise stimulieren. Aber sie dürfen keine neuen Umweltprobleme schaffen, sondern müssen ökologische Entlastung bringen. Zentral wichtig bleibt, dass bei allen Anreizmodellen der gesamte Lebenszyklus eines Produktes berücksichtigt wird und Konjunkturanreizpakete ökologisch und sozialverträglich ausgestaltet werden.

Um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise möglichst gering zu halten, plant der Staat große Investitionsprogramme aufzulegen. Laut des DBU- Umweltmonitors „Corona-Folgen“ erwarten die Bürgerinnen und Bürger, dass diese Programme zukunftsfähig ausgerichtet sind. Zum Beispiel wird dabei am häufigsten als „wichtig“ und „sehr wichtig“ erachtet, dass die Förderung des Gesundheitssystems (94 %) und eine Stärkung der regionalen Wirtschaft (94 %) berücksichtigt werden. Für fast ebenso viele Befragte ist es wichtig und sehr wichtig, dass der Mittelstand in Deutschland unterstützt (92 %) und die soziale Gerechtigkeit gefördert (89 %) werden. Mehr als acht von zehn Befragten halten es für wichtig und sehr wichtig, dass im Rahmen der aktuell geplanten Investitionsprogramme Umwelt- und Klimaschutz berücksichtigt (86 %) und das Artensterben in der Natur reduziert (82 %) werden. Dass mithilfe der geplanten großen staatlichen Investitionsprogramme Innovationen gefördert werden, ist für 83 Prozent wichtig beziehungsweise sehr wichtig.

Auch der von der DBU geförderte Green Startup Monitor 2020 kommt zu dem Schluss, dass eine neue Förderlinie „Nachhaltigkeit“ im deutschen Gründungsfördersystem aufgebaut werden, die Finanzierungssituation der „grünen“ Startups deutlich verbessert und ihr Angebot an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen in der öffentlichen Beschaffung ausdrücklich berücksichtigt werden muss.

 

Wie kann die DBU dabei unterstützen, diese Herausforderungen zu meistern?
Die DBU unterstützt den Mittelstand und „grüne“ Gründerinnen und Gründer weiterhin mit ihrem umfassenden Förderprogramm. Geförderte Projekte sollen nachhaltige Effekte in der Praxis erzielen, Impulse geben und eine Multiplikatorwirkung entfalten. Es ist unser Anliegen, zur Lösung aktueller Umweltprobleme beizutragen, die insbesondere aus nicht nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweisen unserer Gesellschaft resultieren. Wir beraten unsere Projektpartnerinnen und -partner fachkompetent und serviceorientiert. Frische, spannende Ideen sind uns jederzeit willkommen, wir unterstützen auch gerne bei der Ideen-Qualifizierung. Mehr dazu unter www.dbu.de/foerderung und www.dbu.de/startup.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!
Das Interview führte Katharina Reuter (Co-Initiatorin Entrepreneurs For Future)